Leute, ja, genau darum geht’s! Ich war wieder mal im LWL in Münster. Kultur gönnen. Mal was für den Kopf tun. Und dann sehe ich es. Dieses Bild. Oder ist es ein Teppich? Oder eine Mischung aus beidem? Keine Ahnung, aber es hängt weit, weit oben über dem Kamin. Ein sehr sehr schöner Kamin. Verschnörkelt, verziert, überladen – und irgendwo dazwischen ein Relief von einer Frau, einem Mann und einem Apfel oder so. Völlig egal gerade. Darunter noch ein paar von diesen superteuren Gobelins, die aussehen, als hätten sie mal in einem Schloss gewohnt, bis der Adel pleiteging. Und da, ganz oben: eine Frau im weißen Kleid. Zumindest sieht es von hier unten so aus. Mein Nacken schreit schon nach einer Massage, aber gut, ran an das Ding. Also eine Etage höher.

Und jetzt wird’s wild. Ich steh vor dem Bild – und es ist… anders. Die Frau im weißen Kleid schaut mich an. Aber nicht wirklich. Weil sie kein Gesicht hat. Stattdessen ein Kopf aus braunem Leder. Poliert. Nicht creepy, nicht fetish – eher wie eine richtig teure Handtasche, die in Berlin-Mitte ein eigenes Instagram-Profil hätte. Und ihr Arm? Nope. Keine Hand. Eine lederne Tülle, die bis zu den Knien reicht. Ein viel zu langer Handschuh, als hätte Götz von Berlichingen sich spontan für die Mailänder Fashion Week entschieden. Aber eben nicht aus Eisen. Sondern aus Leder.
Und jetzt kommt der absolute Plot-Twist: Die Frau ist gar keine Frau. Sondern ein Mann. Und nicht irgendein Mann, sondern der Künstler höchstpersönlich: Thorsten Brinkmann. Der Typ macht das vermütlich beruflich. Sich selbst verkleiden, inszenieren, irritieren. Portraitmalerei 2.0. Er tarnt sich als alter Meister, schießt aber gleichzeitig voll in die Gegenwart. Und ganz ehrlich? Es sieht fast so aus, als hätte eine KI das Bild generiert.
„Male mir eine Frau im weißen Kleid mit einem lederbezogenen Kopf, die mich ansieht und ihren Arm in einer ledernen Tülle bis zu den Knien trägt.“
Und Zack, da hast du’s! KI oder Kunst? Wer weiß das heute noch so genau.
Und dann dieser Hintergrund! Liebevoll ziselierte Ornamentik, feinste Strukturen, halber Holzrahmen – ein Setting wie aus einem anderen Jahrhundert. Aber dann wieder so schräg, dass es in der Gegenwart hängenbleibt. Perfekt unperfekt. Ein Bild? Eine Foto-Inszenierung? Vielleicht eine Whitewall-Hochglanzproduktion, oder Brinkmann hat einfach ein verdammt gutes Auge für „Wie verwirre ich mein Publikum maximal?“.
Und dann dieser Rahmenwinkel… Das Museum wird zur Bühne, das Publikum zum Teil der Inszenierung. Leute stehen davor, rätseln, drehen den Kopf, murmeln:
„Was zur Hölle ist das?!„
Aber sie bleiben stehen.
Unangenehm faszinierend? Oder einfach unverschämt gut? Das ist hier die Frage.
Brinkmanns „Bertha von Schwarzflug“ ist kein Portrait, es ist ein Statement.
Eine Mischung aus Erhabenheit der hölländischen Meister, absurdem Humor und einem Hauch „WTF?!“. Es spielt mit Identität, mit Materialität, mit dem, was wir sehen wollen, und dem, was wir nicht verstehen.
Man schaut hin.
Man schaut weg.
Und dann schaut man doch wieder hin.
Weil es einen nicht loslässt.
Weil es Kunst ist, die genau das tut, was sie tun soll: Fragen aufwerfen.
Und verdammt nochmal einfach gut aussehen.
Euer Lu