Wo stehen wir beim Thema Datennutzung in Deutschland? Die Expertenrunde zur Datenstrategie: Prof. Dr. Boris Otto

"Ich persönlich glaube, dass wir das Heft des Handelns in der Hand halten. Aber das Gelegenheitsfenster schließt sich und wir sollten diese Chance jetzt nutzen."
„Ich persönlich glaube, dass wir das Heft des Handelns in der Hand halten. Aber das Gelegenheitsfenster schließt sich und wir sollten diese Chance jetzt nutzen.“

Am 23. Januar 2022 haben im Bundeskanzleramt Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über die Datenstrategie der Bundesregierung beraten. Die zentrale Frage lautete: Wie können wir in Deutschland Daten verantwortungsvoll und innovativ nutzen? Einige Statements möchte ich hier gerne in Form einer überarbeiteten Transkription festhalten. Link zum Video

Beginnen möchte ich mit dem Statement zum Entwurf der Datenstrategie der Bundesregierung von Herrn Prof. Dr. Boris Otto, Fraunhofer ISST und IDS:

Start: Überarbeitete Transkription ab Min 09:24

Die unternehmensübergreifende Datennutzung steckt noch in den Kinderschuhen. Die deutsche und die europäische Wirtschaft verfügen zwar über einen Datenschatz, etwa aufgrund von Prozessdaten aus der Fertigung oder von Nutzungsdaten aus Maschinen und Anlagen im Einsatz beim Kunden, aber das damit verbundene Innovationspotenzial dieses Schatzes wird bisher noch nicht gehoben.

Kanzleramtsminister Helge Braun und Prof. Dr. Boris Otto

Dafür sind viele Gründe ursächlich. Zu den Hauptgründen gehört einerseits mangelndes Vertrauen. Beim Austausch insbesondere sensibler Daten ist das Vertrauen in Geschäftspartner und Plattformanbieter in Bezug auf den gewünschten Umgang mit den Daten nicht hoch genug, um in eine gemeinsame Nutzung oder den Austausch der Daten einzuwilligen.

Zweitens, Interoperabilität: in vielen Fällen sind die Daten nicht gemeinsam nutzbar, weil zum einen die Daten selbst keinem Standard entsprechen, aber vor allen Dingen auch keine Standards für Nutzungsbedingungen an den Daten existieren. Wir haben also keine Terms and Conditions für die Datenökonomie.

Dritter Punkt: Data Readiness, also die Fähigkeit der Unternehmen überhaupt beim Datenaustausch mitzuwirken. Selbst wenn Unternehmen willens sind Daten zu teilen, sind sie in weiten Teilen dazu nicht in der Lage. Auf einer Skala von null bis fünf zur Beschreibung des digitalen Reifegrads ordnen sich 84 Prozent auf den beiden ersten Stufen, also null und eins ein und null heißt analog. Geschäftslogik multilateraler Plattformen und Ökosysteme in Deutschland und Europa finden wir in vielen Domänen nicht den einzigen alleinigen Plattformanbieter, sondern eine Vielzahl etwa gleichstarker Akteure.

5 Punkte zum Aufbau einer Dateninfrastruktur: Prof. Boris Otto
5 Punkte zum Aufbau einer Dateninfrastruktur

Aber wer ist nun derjenige, der den Aufbau einer Plattform für gemeinsame Ökosysteme startet und damit auch vorfinanziert? Deutschland und Europa haben einige Anstrengung ergriffen, um die zentralen Probleme bei der Datennutzung und der Datensouveränität zu beheben. Hier sind insbesondere das Projekt Gaia X und die Initiative International Data Spaces zu nennen. Aber es sind eben weitere Maßnahmen nötig, was mich zur zweiten Frage bringt.

Welche Maßnahme muss dann unbedingt zur Lösung dieser Herausforderung ergriffen werden?

Zweifelsohne handelt es sich um ein Maßnahmenbündel. Aber eine zentrale Maßnahme ist sicherlich technischer Natur und betrifft den Aufbau einer Dateninfrastruktur. Bei einer Dateninfrastruktur handelt es sich um eine Infrastruktur aus Software, Komponenten und Diensten, die einerseits das leichte Teilen von Daten ermöglicht und dabei die Souveränität des Datengebers, aber eben auch den Vertrauensschutz des Datennutzers gewährleistet. So eine Dateninfrastruktur ist ja auch bereits in der nationalen KI-Strategie angelegt. Wir haben eine Reihe von fundamentalen Bausteinen dafür, wie erwähnt, Gaia X und IDS.

Beide Initiativen werden mit europäischen Partnern entwickelt und vorangetrieben. Aber diese Dateninfrastruktur muss eben auch betrieben werden. Sie muss vorher da sein, bevor sich datengetriebene Innovationen darauf entwickeln können. Das ist vergleichbar zu einem Infrastrukturnetz, wie beispielsweise dem Autobahnnetz oder der Eisenbahninfrastruktur, die auch da sein müssen, bevor der erste Lastwagen fährt.

Der Staat sollte folgende Stoßrichtung in diesem Sinne verfolgen:

  • Unterstützung und Förderung des Aufbaus einer Betreiberorganisation dieser Dateninfrastruktur.
  • Einforderung der Dateninfrastrukturdienste auch bei öffentlichen Ausschreibungen, also, wo der Staat selbst Nutzer ist.
  • Die weitere Förderung von datengetriebenen Ökosystemen, um diese Deadlock-Situation – – Wer fängt jetzt an? – zu überwinden.
  • Förderung und Aufbau von Softwareunternehmen für Datensouveränität, möglicherweise auch in Analogie zur Batteriezellenproduktion.
  • Förderung von Standards für Datensouveränität, sowie die Erwägung regulatorischer Maßnahmen für den digitalen europäischen Binnenmarkt, gegebenenfalls auch im Sinne eines Datensouveränitäts-Acts.

Ende: Überarbeitete Transkription