Lu // Andy Warhol // Brillo? Klar, kenn ich. – Aus Büchern, Taschen Verlag oderso.

Stellt euch vor, Leute, für läppische 3,90 Dollar könnt ihr auf Amazon Brillo-Alltagskunst ergattern. Ja, richtig gehört, für den Preis eines halbwegs anständigen Cappuccinos. Hättet ihr allerdings eine Zeitmaschine und würdet ins Jahr 1964 zurückreisen, dann könntet ihr für ein bisschen mehr – sagen wir mal, für schlappe 200 Dollar – eine ganze Originalkiste Brillo direkt vom Lager mitnehmen. Und jetzt? Heute werden diese Dinger für Millionen bei Christie’s und Co. versteigert. Verrückte Welt, oder?

Aber mal ehrlich, in meiner beschaulichen Kleinstadtjugend war Kunst eher was für Ärzte, Notare und meine Lehrer. Marc Chagall, Monet oder, wenn’s hochkommt, mal eine humorige Zeichnung von Loriot – das war’s dann auch schon mit dem kulturellen Horizont. Und dann, irgendwann in den 80ern, kam auch zu uns die Pop-Art angekrochen. Ja, ich weiß, ein bisschen spät, aber immerhin.

Die Brillo-Boxen? Klar, die kannte ich. – Aus Büchern, Taschen Verlag und so. Tausendmal gesehen, tausendmal für doof befunden, dann wieder gefeiert und kurz darauf wieder als belanglos abgetan. Diese Boxen waren so eine Art ständiger Begleiter meiner Jugend. Nicht wirklich ein Thema, aber irgendwie konnte jeder was dazu sagen. Erst viel später, zwei Jahrzehnte um genau zu sein, habe ich die ersten Warhol-Arbeiten im MoMA gesehen. Und dann, nochmal 20 Jahre später im Ludwig hier in Köln. Genau diese Boxen, um die es hier geht. Wenn ich heute durchs Museum schlendere, stolpere ich immer noch über sie. Eigentlich biege ich direkt rechts ab, sobald ich in der ersten Etage ankomme. Die gehören einfach dazu. Komme ich mit klar. Brauche ich auch, um reinzukommen.

Aber worum geht es eigentlich? Anfang der 60er schickte Warhol seinen Mitarbeiter Gerard Malanga in einen Supermarkt mit der Ansage, er solle etwas „ganz Normales“ mitbringen. Malanga kam mit Kellogg’s Cornflakes, Del Monte-Pfirsichen, Campbell’s Tomatensaft und eben auch Brillo zurück. Dann hat ein Schreiner Holzkisten gebaut, hunderte, exakt so groß wie die Original-Brillo-Boxen. Die Kisten wurden in einem öden Weiß angemalt, einige auch in Gelb, und anschließend mit Blau und Rot bedruckt, genau wie die im Supermarkt. Eigentlich hätte Warhol die Kisten auch direkt im Supermarkt kaufen und einfach seine Signatur draufklatschen können. Wäre auch gegangen.

Und dann gings in die Galerie zum Abverkauf. Stellt euch vor, Andy Warhol hat mal eben 400 seiner Brillo-Boxen aufgetürmt, als wäre es das Lager eines Supermarkts. Das Ganze sollte den Kunstschickeria-Leuten klarmachen: „Hey, meine Kunstwerke könnt ihr im Bulk kaufen, wie eure geliebten Toilettenpapier-Pakete bei Costco.“ Quadratisch, praktisch, Kunst. Die Vernissage-Besucher fanden sich in einem Labyrinth aus Kisten wieder, eine Erfahrung irgendwo zwischen Vernissage und Verkaufsoffener Sonntag bei Lidl. Diese Aktion hat nicht nur für hitzige Diskussionen über den Kunstbegriff gesorgt, sondern auch Andy Warhols Status als Enfant terrible der Kunstszene zementiert.

Campbells und Brillo wie Lagerware im Ludwig gestapelt: Ein bischen „Brillo“ lugt tatsächlich hinter den Campbells Kisten hervor und noch ein Klassiker aus der Pop Art – erkannt?

Die Boxen wurden für ’nen Appel und ’n Ei, also zwischen 200 und 400 Dollar, angeboten. Eleanor Ward, die Galeristin, fand die Dinger allerdings so schwer loszuwerden wie ein Palettenkontingent Tofu-Würstchen auf einer Metzgermesse. Sie erinnerte sich: „Andy dachte, die Leute würden Schlange stehen, um sich eine zu schnappen. Wir haben uns vorgestellt, wie die New Yorker Elite mit Brillo-Boxen unterm Arm die Madison Avenue entlangflaniert. Pustekuchen.“ (frei zitiert)

Was will uns das nun sagen? Klar, das ist Kunst. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Ob’s hübsch oder was für die Vitrine ist, steht auf einem anderen Blatt. Für mich ist das Ganze ein Stück Nostalgie, emotional aufgeladen wie ein Teenager beim ersten Konzert seiner Lieblingsband. Hätte ich so eine Kiste zu Hause, würde ich mich freuen – Dauergrinsen, jeden Tag.

Warhols Aktion war cool, brillant, ein Stück Genialität mit einer Prise Faulheit – oder nennen wir es Pragmatismus. Die Idee, Kunst kistenweise zu verkaufen, finde ich absolut großartig. Da gehe ich mit.

Ich bin raus.
Euer Lu

Quelle: amazon


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